Warum Multitasking nicht funktioniert: Die Psychologie der Aufmerksamkeit
Gleichzeitig E-Mails lesen, Meetings folgen und Probleme lösen? Unser Gehirn ist dafür nicht gemacht. Was die Wissenschaft über Multitasking sagt – und wie du produktiver arbeitest.
Multitasking gilt in vielen Kontexten als Ausweis von Leistungsfähigkeit. Wer gleichzeitig E-Mails beantwortet, Tabellen prüft und im Meeting präsent ist, erscheint als effizient, anpassungsfähig und belastbar. In Bewerbungsgesprächen wird Multitaskingfähigkeit oft als zentrale Kompetenz genannt. In Stellenausschreibungen wird sie erwartet, in Arbeitsalltag und Selbstoptimierungskultur stillschweigend vorausgesetzt. Doch dieser gesellschaftlich verankerte Mythos widerspricht klaren Befunden der psychologischen Forschung.
Der Ursprung des Multitasking-Begriffs liegt in der Informatik. In den 1960er-Jahren beschrieb er die Fähigkeit von Computersystemen, mehrere Prozesse scheinbar gleichzeitig zu bearbeiten. Diese Analogie wurde auf das menschliche Gehirn übertragen – eine folgenschwere Vereinfachung. Denn anders als Maschinen arbeitet das Gehirn nicht parallel, sondern seriell. Es kann Informationen schnell verarbeiten, aber nicht gleichzeitig vollständig unterschiedlichen kognitiven Prozessen folgen.

Psychologische Studien zeigen, dass Menschen nicht in der Lage sind, zwei komplexe Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen, wenn beide dieselbe kognitive Ressource beanspruchen. Was als Multitasking erscheint, ist in Wirklichkeit ein rascher Wechsel zwischen Aufgaben – ein Prozess, der mit Zeitverlust, Fehleranfälligkeit und erhöhtem mentalen Aufwand verbunden ist. Die Kognitionspsychologie bezeichnet dieses Phänomen als Task Switching.
Der Mythos vom Multitasking hält sich dennoch hartnäckig. Das liegt an kulturellen Narrativen, die Geschwindigkeit mit Intelligenz, Verfügbarkeit mit Engagement und ständige Aktivität mit Wertschöpfung verknüpfen. Wer in der Lage ist, mehrere Kanäle gleichzeitig zu bedienen, erscheint als besonders leistungsfähig – obwohl genau das die Leistungsfähigkeit untergräbt.
In der Arbeitspsychologie wird Multitasking zunehmend kritisch betrachtet. Studien zeigen, dass es nicht nur ineffizient, sondern auch gesundheitlich belastend ist. Es erhöht das Stressniveau, beeinträchtigt die Qualität der Arbeit und reduziert die Fähigkeit, fokussiert zu denken. Dennoch wird das Ideal der ständigen Gleichzeitigkeit weiter gepflegt – mit erheblichen Konsequenzen für Aufmerksamkeit, Produktivität und mentale Gesundheit.
Wer Multitasking als Stärke begreift, misst sich an einem unrealistischen Ideal. Wer erkennt, dass das Gehirn auf sequenzielles Arbeiten ausgelegt ist, kann beginnen, seine Arbeitsweise neu zu gestalten – im Einklang mit der Funktionsweise der eigenen Kognition. Und genau darin liegt der erste Schritt zu echter Konzentration.
Was Aufmerksamkeit wirklich ist: Einblick in die kognitive Psychologie
Aufmerksamkeit ist keine unbegrenzte Ressource. Sie ist ein selektiver, kapazitätsbeschränkter Mechanismus des Gehirns, der steuert, welche Reize wir wahrnehmen, verarbeiten und in Handlungen überführen. In der kognitiven Psychologie wird Aufmerksamkeit als aktiver Prozess beschrieben, der relevante Informationen fokussiert und irrelevante ausblendet. Dieser Prozess ist notwendig, weil das menschliche Gehirn permanent mit einer Überfülle sensorischer und kognitiver Eindrücke konfrontiert ist, die nicht simultan verarbeitet werden können.
Das klassische Modell von Broadbent (1958) beschreibt Aufmerksamkeit als Filtermechanismus, der bereits in frühen Verarbeitungsstufen entscheidet, welche Informationen weitergeleitet werden. Dieses sogenannte Filtermodell wurde später durch kapazitätstheoretische Modelle ergänzt, etwa durch Kahnemans Konzept der begrenzten Aufmerksamkeitsressource (1973). Entscheidend in allen Modellen bleibt: Aufmerksamkeit ist limitiert, und parallele Aufgaben konkurrieren um dieselbe Ressource.
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass verschiedene Arten von Aufmerksamkeit – etwa geteilte, fokussierte oder wechselnde Aufmerksamkeit – unterschiedliche neuronale Netzwerke aktivieren. Allerdings zeigen Bildgebungsverfahren wie fMRT und EEG, dass diese Netzwerke nicht unbegrenzt gleichzeitig aktivierbar sind. Je höher die Komplexität einer Aufgabe, desto stärker beansprucht sie exekutive Kontrollfunktionen wie das Arbeitsgedächtnis, die Inhibition irrelevanter Reize und die Steuerung zielgerichteten Verhaltens.
Diese Mechanismen sind in ihrer Verarbeitungskapazität eng begrenzt. Das bedeutet: Sobald zwei oder mehr Aufgaben dieselben kognitiven Ressourcen beanspruchen – etwa sprachliches Denken oder visuelle Verarbeitung –, entsteht ein Konflikt. Das Gehirn ist gezwungen, zwischen Aufgaben hin- und herzuschalten, was zu kognitiven Wechselkosten führt. Diese Kosten äussern sich in Zeitverlust, erhöhtem Fehleraufkommen und mentaler Ermüdung.
Besonders problematisch wird es, wenn externe Reize – etwa Push-Nachrichten, E-Mails oder Gespräche – unbewusst Aufmerksamkeit binden. Diese extern gesteuerte Aufmerksamkeit unterbricht fokussierte Prozesse und verursacht Fragmentierung im Denken. Selbst wenn solche Unterbrechungen nur wenige Sekunden dauern, kann es mehrere Minuten dauern, bis das ursprüngliche Konzentrationsniveau wieder erreicht wird.
Aufmerksamkeit ist kein passives Empfangen, sondern ein aktiver, selektiver und verletzlicher Vorgang. Wer sie versteht, erkennt, dass echte Konzentration nicht nebenbei geschieht. Sie verlangt Schutz, Struktur und ein Bewusstsein für die Grenzen kognitiver Leistungsfähigkeit. Nur so lassen sich Bedingungen schaffen, unter denen das Denken wirklich zur Entfaltung kommt.
Multitasking existiert nicht: Was eigentlich passiert, wenn wir zwischen Aufgaben springen
Der Begriff Multitasking suggeriert die Fähigkeit, mehrere komplexe Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten. Doch aus kognitionspsychologischer Sicht ist dieses Konzept irreführend. Was Menschen im Alltag als Multitasking bezeichnen, ist in Wirklichkeit ein schneller Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten – ein Vorgang, den die Wissenschaft als Task Switching bezeichnet. Dieser Wechsel ist weder verlustfrei noch effizient. Im Gegenteil: Er kostet Zeit, Energie und Genauigkeit.
Das Gehirn kann nur dann zwei Aufgaben gleichzeitig ausführen, wenn sie unterschiedliche kognitive Ressourcen beanspruchen und mindestens eine davon automatisiert abläuft. Beispielsweise ist es möglich, zu gehen und gleichzeitig ein Gespräch zu führen – weil das Gehen weitgehend automatisiert ist. Sobald jedoch zwei Aufgaben die gleichen exekutiven Funktionen erfordern, entsteht ein kognitiver Konflikt.
In den 2000er-Jahren zeigten Rubinstein, Meyer und Evans in einer Serie von Experimenten, dass selbst bei einfachsten Aufgaben wie Zahlenvergleichen oder Buchstabenerkennung signifikante Wechselkosten entstehen, sobald Personen zwischen Aufgaben wechseln. Die Probanden benötigten mehr Zeit, machten mehr Fehler und empfanden eine höhere mentale Belastung. Die Ursache liegt in den neurologischen Umstellungsprozessen: Bei jedem Wechsel muss das Gehirn das Arbeitsgedächtnis neu konfigurieren, irrelevante Informationen inhibieren und neue Handlungsschemata aktivieren.
Diese Umstellungen sind nicht trivial. Der präfrontale Kortex, der für Planungs- und Kontrollprozesse verantwortlich ist, wird dabei besonders beansprucht. Jede Umkonfiguration kostet kognitive Ressourcen, verlangsamt die Verarbeitung und senkt die Effizienz. Je komplexer die Aufgaben, desto grösser die kognitive Reibung beim Wechsel.
Die Vorstellung, „schnell mal zwischendurch“ etwas anderes zu erledigen, basiert also auf einem Trugschluss. Selbst kurze Unterbrechungen – etwa das Beantworten einer Nachricht während eines Schreibprozesses – zwingen das Gehirn in einen kognitiven Reset. Die Rückkehr zur ursprünglichen Aufgabe dauert länger, als der Unterbruch selbst. Diese Fragmentierung verringert nicht nur die Qualität der Ergebnisse, sondern unterminiert den Zustand tiefer Konzentration, auch als Flow bezeichnet.
Multitasking existiert als Konzept in der menschlichen Kognition nicht. Was stattfindet, ist ein hochgradig ineffizienter Wechselprozess, der mentale Kapazität verschleisst und Fehlerwahrscheinlichkeit erhöht. Wer produktiv arbeiten will, muss nicht schneller, sondern fokussierter werden – im Einklang mit der Architektur des eigenen Denkens.
Die Kosten des Multitaskings: Konzentrationsverlust, Zeitverschwendung, Fehleranfälligkeit
Multitasking ist keine Produktivitätsstrategie. Es ist eine kognitive Fehlanpassung. Zahlreiche empirische Studien belegen, dass das gleichzeitige Bearbeiten mehrerer Aufgaben nicht nur ineffizient, sondern auch fehleranfällig und langfristig belastend ist. Die vermeintliche Zeitersparnis durch Multitasking kehrt sich in das Gegenteil um: Sie erzeugt Mehraufwand, Wiederholungsarbeit und erhöhten Energieverbrauch.
Bereits 2001 wiesen Rubinstein, Meyer und Evans nach, dass das ständige Wechseln zwischen Aufgaben die Bearbeitungszeit um bis zu 40 % verlängern kann. In komplexen Tätigkeiten wie Planen, Schreiben oder Analysieren entsteht ein erheblicher mentaler Mehraufwand, da das Gehirn bei jedem Wechsel den Aufmerksamkeitsfokus neu ausrichten muss. Diese Wechselkosten sind messbar: in Sekunden, in Fehlern, in geistiger Erschöpfung.
In einer viel beachteten Studie von Ophir, Nass und Wagner (2009) zeigte sich, dass sogenannte „Heavy Media Multitaskers“ – Personen, die sich häufig mehreren Informationskanälen gleichzeitig aussetzen – in kognitiven Tests signifikant schlechter abschnitten als andere. Sie zeigten verminderte Selektionsfähigkeit, höhere Ablenkbarkeit und geringere kognitive Kontrolle. Multitasking beeinträchtigt nicht nur den Moment, es verändert kognitive Prozesse langfristig.
Auch im Arbeitskontext entstehen durch Multitasking erhebliche Verluste. Untersuchungen des American Psychological Association zeigen, dass ständige Unterbrechungen – etwa durch E-Mail-Benachrichtigungen oder Messaging-Dienste – die Fehlerquote in anspruchsvollen Aufgaben signifikant erhöhen. Gleichzeitig sinkt das subjektive Stresserleben nicht etwa durch schnellere Bearbeitung, sondern steigt durch das Gefühl permanenter Reizüberflutung.
Der Zusammenhang zwischen Multitasking und Fehleranfälligkeit lässt sich neuropsychologisch erklären. Aufgaben, die hohe Konzentration erfordern, beanspruchen insbesondere den präfrontalen Kortex. Bei Unterbrechungen oder paralleler Beanspruchung wird dieser Bereich überlastet, wodurch sowohl Arbeitsgedächtnis als auch exekutive Funktionen beeinträchtigt werden. Das Ergebnis: Entscheidungen werden impulsiver, Detailgenauigkeit sinkt, und die Fähigkeit zur Priorisierung wird reduziert.
Auch emotionale Kosten sind nachweisbar. Multitasking erzeugt einen Zustand innerer Zerrissenheit, der mit Unruhe, Gereiztheit und mentaler Erschöpfung einhergeht. Die kognitive Psychologie spricht von Attention Residue: Nach einem Wechsel bleibt ein Teil der Aufmerksamkeit bei der vorherigen Aufgabe haften, was die volle Präsenz in der neuen Aufgabe verhindert.
Die Kosten des Multitaskings sind damit nicht abstrakt. Sie sind konkret, quantifizierbar und psychologisch erklärbar. Wer produktiv, kreativ und nachhaltig arbeiten möchte, sollte nicht versuchen, mehr gleichzeitig zu tun – sondern lernen, weniger gleichzeitig zu tun. Effizienz entsteht nicht durch Geschwindigkeit, sondern durch Tiefe.
Multitasking im digitalen Alltag: Wie Mediennutzung unser Gehirn überfordert
Digitale Technologien ermöglichen permanente Konnektivität. Smartphones, Tablets, Laptops und Smartwatches schaffen eine Umgebung, in der Reize ununterbrochen präsent sind. Diese digitale Dauerverfügbarkeit verändert nicht nur Kommunikationsverhalten, sondern greift tief in die Struktur der Aufmerksamkeit ein. Die ständige Erreichbarkeit und der Wechsel zwischen Informationsquellen fördern genau jene Art der Aufmerksamkeitsfragmentierung, die die Kognitionspsychologie als besonders störanfällig beschreibt.
Studien aus der Medienpsychologie belegen, dass digitale Multitasking-Umgebungen das Arbeitsgedächtnis überlasten. Jedes Aufpoppen einer Nachricht, jeder Push-Ton, jeder Wechsel zwischen Apps verlangt einen kognitiven Neustart. Das Gehirn wird gezwungen, Aufgaben zu unterbrechen, Reize zu bewerten und sich neu zu orientieren. Dieser Prozess ist energetisch aufwendig und führt zu einem konstanten Zustand kognitiver Unruhe.
In einer Untersuchung der Stanford University (Ophir, Nass, Wagner, 2009) zeigte sich, dass Personen, die häufig mehrere Medien gleichzeitig nutzen, deutlich schlechter in Aufgaben der selektiven Aufmerksamkeit und kognitiven Kontrolle abschnitten. Sie liessen sich leichter ablenken, zeigten reduzierte Gedächtnisleistungen und geringere Fähigkeit zur Reizunterdrückung. Digitale Vielnutzung verändert somit nicht nur das Verhalten, sondern auch die kognitive Verarbeitungstiefe.
Die neurobiologische Erklärung liegt in der Funktionsweise des Dopaminsystems. Jedes neue Signal – eine Nachricht, ein Like, eine Information – wirkt als potenzieller Belohnungsreiz. Diese intermittierenden Verstärkungen aktivieren das Belohnungszentrum im Gehirn und erzeugen kurzfristige Aufmerksamkeitssprünge. Langfristig führen sie jedoch zu einer Dysregulation der Aufmerksamkeitssteuerung. Das Gehirn lernt, sich ständig neu zu orientieren, anstatt im Fokus zu verharren.
Diese Mechanismen greifen nicht nur während der Arbeit, sondern auch in Ruhephasen. Studien zeigen, dass viele Menschen Schwierigkeiten haben, bei einer einzelnen Tätigkeit zu bleiben – selbst wenn sie Zeit und Motivation hätten. Der permanente Wechsel zwischen digitalen Reizen erzeugt eine aufmerksamkeitsbezogene Hyperaktivität, die mit innerer Unruhe, mentaler Erschöpfung und Schlafstörungen einhergehen kann.
Hinzu kommt ein sozialer Verstärkungsmechanismus: In vielen digitalen Umgebungen wird Reaktion schneller belohnt als Reflektion. Wer sofort antwortet, reagiert oder teilt, gilt als präsent, kompetent und engagiert. Kognitive Tiefe, selektive Wahrnehmung und strukturiertes Denken geraten dabei unter Druck. Die Folge ist ein kulturell normalisiertes Multitasking, das Effizienz verspricht, aber kognitive Degradierung fördert.
Die digitale Infrastruktur verstärkt damit jene Aufmerksamkeitsspaltung, die Multitasking überhaupt erst entstehen lässt. Wer dem begegnen will, muss nicht technologiefeindlich werden. Aber er muss die psychologische Architektur seiner digitalen Umgebung verstehen – und gezielt gestalten. Konzentration beginnt nicht im Kopf, sondern in der Umwelt. Wer seine Umgebung schützt, schützt seine kognitive Integrität.
Multitasking im Arbeitsleben: Warum vermeintliche Effizienz zu Leistungseinbussen führt
In modernen Arbeitsumgebungen gilt Vielseitigkeit als Tugend. Wer mehrere Projekte parallel betreut, unterschiedliche Kommunikationskanäle bedient und schnell zwischen Aufgaben wechselt, wird oft als leistungsfähig wahrgenommen. Diese Vorstellung basiert jedoch auf einem Missverständnis über die Funktionsweise menschlicher Kognition. Was als Effizienz erscheint, ist in Wirklichkeit ein systematischer Verstoss gegen die Prinzipien aufmerksamen Arbeitens.
Besonders in Wissensarbeit, Projektmanagement und Führung ist die Belastung durch simultane Anforderungen hoch. E-Mails, Chats, Kalenderbenachrichtigungen, digitale Tools und ständige Meetings erzeugen eine Arbeitskultur, die Multitasking nicht nur toleriert, sondern begünstigt. Diese Struktur steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Arbeitspsychologie. Studien zeigen, dass unterbrochene Aufgaben im Schnitt doppelt so lange dauern wie ungestörte. Gleichzeitig sinkt die Qualität der Ergebnisse.
Eine Untersuchung von Mark, Gudith und Klocke (2008) zeigte, dass Mitarbeitende im Büro durchschnittlich alle drei Minuten unterbrochen werden – und bis zu 23 Minuten benötigen, um zur ursprünglichen Aufgabe zurückzufinden. Diese Fragmentierung der Aufmerksamkeit führt zu Fehlern, Denkabbrüchen und dem Verlust von Zusammenhängen. Besonders kritisch ist dies in Tätigkeiten, die Planung, Problemlösung oder Kreativität erfordern.
Auch im Meetingkontext wirkt Multitasking destruktiv. Studien des MIT Media Lab belegen, dass bereits das gelegentliche Checken von E-Mails während eines Meetings die kognitive Verarbeitung der Gesprächsinhalte signifikant reduziert. Wer innerlich fragmentiert ist, hört selektiv, speichert weniger Informationen und trifft schlechtere Entscheidungen. Dennoch wird diese Praxis oft als professionell gewertet – ein Paradoxon der modernen Arbeitskultur.
Hinzu kommen strukturelle Fehlanreize. In vielen Organisationen wird Präsenz mit Produktivität verwechselt. Wer „immer erreichbar“ ist, signalisiert Engagement – auch wenn die Erreichbarkeit die tiefere Arbeitsleistung beeinträchtigt. Die permanente Responsivität erzeugt einen Zustand latenter Alarmbereitschaft, der mit chronischem Stress, reduzierter Erholungsfähigkeit und sinkender kognitiver Flexibilität einhergeht.
Die betriebswirtschaftlichen Folgen sind erheblich: Studien schätzen, dass ineffizientes Multitasking in Unternehmen jährlich Milliardenkosten verursacht – durch Fehlentscheidungen, Wiederholungsaufgaben, Qualitätseinbussen und Krankheitsausfälle. Gleichzeitig bleibt das Potenzial fokussierter Arbeit weitgehend ungenutzt.
Organisationen, die langfristige Leistung, Innovation und mentale Gesundheit fördern wollen, müssen die Architektur ihrer Arbeitsabläufe neu denken. Multitasking ist kein Zeichen von Leistungsfähigkeit. Es ist ein Indikator für unklare Prioritäten, überhöhte Anforderungen und fehlende Schutzräume für Konzentration. Wer diese Schutzräume schafft, schafft Voraussetzungen für echte Exzellenz.
Was hilft? Psychologisch fundierte Strategien für bessere Konzentration
Konzentration ist keine Willensfrage. Sie ist das Ergebnis klarer Strukturen, günstiger Rahmenbedingungen und bewusster Aufmerksamkeitssteuerung. Die psychologische Forschung zeigt, dass fokussiertes Arbeiten nicht aus Verzicht entsteht, sondern aus Gestaltung. Wer Multitasking vermeiden will, braucht keine Disziplin, sondern eine Umgebung, die Konzentration ermöglicht und schützt.
Eine der wirksamsten Strategien ist Monotasking – die bewusste Konzentration auf eine Aufgabe innerhalb eines festgelegten Zeitraums. In Studien zeigte sich, dass Personen, die sich gezielt einzelnen Aufgaben widmen, signifikant schneller und fehlerärmer arbeiten als solche, die Aufgaben vermischen. Das Prinzip ist einfach, seine Umsetzung jedoch anspruchsvoll: Es erfordert das Ausschalten von Störquellen, das Formulieren klarer Ziele und das Einplanen fester Bearbeitungsphasen.
Ein bewährtes Format ist das sogenannte Timeboxing. Hierbei werden im Kalender fixe Zeitfenster für fokussiertes Arbeiten reserviert. Diese Technik stammt aus dem agilen Projektmanagement und wird zunehmend in der individuellen Selbststeuerung angewendet. Studien aus der Verhaltenspsychologie zeigen, dass klar definierte Zeiträume mit Anfang und Ende die Wahrscheinlichkeit erhöhen, konzentriert zu bleiben – insbesondere, wenn sie durch Pausen ergänzt werden.
Auch das Konzept der Deep Work, geprägt durch Cal Newport, basiert auf psychologischen Grundlagen. Es beschreibt den Zustand ununterbrochener geistiger Vertiefung in komplexe Aufgaben. Deep-Work-Phasen fördern nicht nur Produktivität, sondern auch Zufriedenheit und Lernerfolg. Neurowissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in diesen Phasen der präfrontale Kortex besonders effizient arbeitet und sich neuronale Muster verstärken, die für kreatives Denken und Problemlösen zentral sind.
Zentral für alle Strategien ist die Reizreduktion. Digitale Geräte sollten in Phasen konzentrierter Arbeit deaktiviert oder ausser Reichweite gebracht werden. Jede visuelle oder akustische Benachrichtigung unterbricht nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern hinterlässt attention residue – mentale Rückstände, die die kognitive Leistungsfähigkeit über Minuten hinweg beeinträchtigen. Das bewusste Abschalten von Benachrichtigungen ist keine Isolation, sondern eine Investition in Denkqualität.
Auch Pausenmanagement ist entscheidend. Kognitive Ressourcen sind begrenzt und regenerieren sich nicht durch endlose Dauerleistung, sondern durch gezielte Erholung. Kurze Bewegungspausen, visuelle Abwechslung und bewusste Unterbrechung des Arbeitsmodus erhöhen die Konzentrationsfähigkeit signifikant. Forschungen zur ultradianen Rhythmik zeigen, dass das menschliche Gehirn etwa alle 90 Minuten eine Phase der Regeneration benötigt, um nachhaltig leistungsfähig zu bleiben.
Diese Massnahmen wirken nicht isoliert. Ihre Wirksamkeit entsteht durch Systematik. Wer sie integriert, verändert nicht nur sein Arbeitsverhalten – er verändert die Qualität seiner geistigen Arbeit. Konzentration ist kein Luxus. Sie ist die Grundlage jeder tiefen Erkenntnis, jeder klaren Entscheidung und jeder wirkungsvollen Handlung. In einer Zeit permanenter Ablenkung ist sie ein seltenes Gut – und eine bewusste Entscheidung.
Abschliessende Gedanken
Multitasking ist kein Fortschritt. Es ist ein Irrweg. Die Vorstellung, mehrere kognitiv anspruchsvolle Aufgaben gleichzeitig bewältigen zu können, widerspricht den Grundprinzipien der menschlichen Informationsverarbeitung. Was als Effizienz gilt, ist in Wahrheit ein systematischer Verlust an Qualität, Klarheit und Konzentration. Die psychologische Forschung ist in ihren Befunden eindeutig: Das Gehirn kann nicht parallel denken, sondern nur sequentiell umschalten – mit jedem Wechsel sinkt die Leistungsfähigkeit.
Die gesellschaftliche Normalisierung von Multitasking hat nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Folgen. Sie erzeugt Arbeitskulturen, in denen Reaktion wichtiger ist als Reflexion, Präsenz mehr zählt als Substanz und Geschwindigkeit über Tiefe gestellt wird. In einer solchen Umgebung verlieren sich nicht nur Ideen, sondern auch Menschen. Konzentration wird zur Ausnahme, nicht zur Regel.
Wer diese Dynamik erkennt, gewinnt Handlungsspielraum. Aufmerksamkeit ist keine unveränderliche Grösse, sondern eine gestaltbare Ressource. Sie lässt sich schützen, trainieren und bewusst einsetzen. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, das Ideal der ständigen Verfügbarkeit zu hinterfragen und die Bedingungen für kognitiv fokussiertes Arbeiten aktiv zu schaffen.
Die Renaissance der Konzentration beginnt mit einem Perspektivwechsel: weg vom Mythos des Vielgleichzeitigen, hin zur Kultur des Verweilens. Es geht nicht darum, weniger zu tun. Es geht darum, das Richtige mit voller Präsenz zu tun. Wer bewusst bei einer Aufgabe bleibt, erhöht nicht nur die Qualität der Ergebnisse – er stärkt die Integrität seines Denkens, die Tiefe seiner Entscheidungen und die Ruhe seines Geistes.
Multitasking mag modern erscheinen. Doch Konzentration bleibt revolutionär.
Quellenverzeichnis
Rubinstein, Joshua S.; Meyer, David E.; Evans, Jeffrey E. (2001).
Executive Control of Cognitive Processes in Task Switching.
In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 27(4), S. 763–797.
→ Fundamentale Studie zu kognitiven Wechselkosten und den Effekten von Task Switching.Ophir, Eyal; Nass, Clifford; Wagner, Anthony D. (2009).
Cognitive Control in Media Multitaskers.
In: Proceedings of the National Academy of Sciences, 106(37), S. 15583–15587.
→ Empirische Untersuchung zur kognitiven Leistung von Heavy Media Multitaskers.Mark, Gloria; Gudith, Donna; Klocke, Ulrich (2008).
The Cost of Interrupted Work: More Speed and Stress.
In: Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, S. 107–110.
→ Studie zur Wirkung von Unterbrechungen und fragmentierter Arbeit auf Konzentration und Stress.Kahneman, Daniel (1973).
Attention and Effort.
Englewood Cliffs: Prentice-Hall.
→ Theoretisches Modell zur limitierten Aufmerksamkeitsressource und kognitiver Beanspruchung.Newport, Cal (2016).
Deep Work: Rules for Focused Success in a Distracted World.
New York: Grand Central Publishing.
→ Konzept der tiefen Konzentration als Gegenmodell zu Multitasking – theoretisch fundiert und praxisnah.