Um die heutigen Konzepte, Theorien und Anwendungsfelder der Arbeitspsychologie und Organisationspsychologie verstehen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die Entwicklung der Faches zu werden. Dabei wird deutlich, dass die Arbeits- und Organisationspsychologie von verschiedenen Menschenbildern geprägt ist, die sich im Lauf der Zeit verändert haben. In diesem Artikel gehe ich auf die vier klassischen Menschenbilder (economic man, social man, self-actualizing man, complex man) sowie auf das sich abzeichnende neue Menschenbild (virtual man) ein.
Economic Man
„Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung“ aus Spranger, 1914, S. 148“
Zu Beginn des 20 Jahrhunderts begann die standardisierte Massenproduktion in rapid wachsenden Märkten. Dies führte zu wachsender Konkurrenz und einen Fokus auf Effektivität und Produktivität. In den USA standen zu dieser Zeit nur wenige qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung, deren Hauptaugenmerk darauf lag, genug Einkommen zur Lebenssicherung zu erzielen. So steht die erste Phase sinnbildlich für das Menschenbild des Economic Man.
Diese Vorstellung geht von der Grundannahme aus, dass der „Durchschnittsmensch“ verantwortungsscheu sei, nach der Maxime der grössten Gewinns handle, hauptsächlich durch monetäre Anreize motivierbar sei und völlig zweckrational agiere.Der Betrieb wird als technisches System gesehen, an welches der Mensch angepasst werden sollte.
Folgen für die Strukturierung von Unternehmen war eine weitgehende Vollmachten- und Arbeitsteilung durch Unterscheidung von Kopf- und Handarbeit, Aufteilung ganzheitlicher Arbeitstätigkeit in kleinste Tätigkeitselemente durch Partialisierung sowie Konzentration auf individuelle Anreizsysteme (Mankin, 1978)
Elementar beeinflusst wurde die erste Phase der Arbeits- und Organisationspsychologie vom Taylorismus. Der Ingenieur Fredrick Winslow Taylor (1856 – 1915) hatte das Konzept des Scientific Management entwickelt, das sich als wissenschaftliche Betriebsführung in allen industrialisierten Ländern durchsetzte. Das Konzept basierte auf Taylors und Gilberths Zeit- und Bewegungsstudien aus dem Jahr 1911. Das Ziel Taylors war eine genaue Analyse des Arbeitsvorganges. Um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen und die Arbeit zu erleichtern, sollte alles Unnötige ausgeschaltet werden. Die Arbeit sollte funktionsgerecht und möglichst ohne Ermüdung ausgeführt werden können. Durch Eliminierung aller überflüssigen Bewegungen, höchste Partialisierung und Repetition wurde der effizienteste Weg („one best way“) zur Ausführung einer Aufgabe ermittelt.
Insgesamt können vier Prinzipien des Taylorismus zusammengefasst werden:
Die Arbeitsaufgabe wird in einzelne Arbeitselemente zergliedert.
z.B. Eine Schnur einfädeln.Die bestgeeignetsten Arbeitskräfte werden ausgewählt
z.B. Die optimale Armlänge um eine Schnur einfädeln zu könnenKopf- und Handarbeit werden strikt voneinander getrennt.
d.h. Das Management übernimmt die Planung und Überwachung und die Arbeiter die praktischen Ausführung der Arbeit.Zwischen Arbeitgebern und –nehmern herrscht Harmonie und „herzliches Einvernehmen“
Die Rationalisierungsmassnahmen des Taylorismus bedeuteten für die Unternehmen eine drastische Erhöhung der Produktivität. In der Folge steigen auch die Löhne der Arbeiter, so dass der Taylorismus eine Win-Win-Situation für beide Seiten darstellte.
Während Taylor sich vor allem auf handwerkliche Arbeit und kleinere Betriebe konzentrierte, wendete Henry Ford die Arbeitsteilung zur rationellen Organisation grösserer Betreibe an. Das Ziel hinter diesem Konzept steht dabei sinnbildlich für die gesamte Zeitperiode: Erhöhung der Produktion um jeden Preis.
Schon früh wurde Kritik am Taylorismus laut. Berühmt geworden ist vor allem der Film „Modern Times“ von und mit Chares Chaplin, der eine Satire auf den Taylorismus in der Arbeitswelt darstellt. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde eine Kommission zur „Prüfung der Verhältnisse der Industrie“ vom amerikanischen Kongress eingesetzt. Kritikpunkte waren vor allem die Monotonie der repetitiven Arbeit, die ausschliessliche Motivierung der Arbeiter durch monetäre Anreize und die Sichtweise des Menschen als Maschine, dessen Ineffizienz durch die Gestaltung von Werkzeugen und Abläufen kompensiert wurde.
Social Man
In den 1930er Jahren rückten soziale Aspekte der Arbeit vermehrt in den Fokus, und der Betrieb als soziales System wurde entdeckt. Das Menschenbild dieser Phase entsprach einem auf interpersonellen Kontakt ausgerichteten Menschen, dem sogenannten Social Man, dessen Arbeitsmotivation und –zufriedenheit von der Möglichkeit zur Kommunikation mit Kollegen, Teilnahme an Entscheidungen und zwischenmenschlichen Beziehungen abhängt (Schein 1988)
Der Paradigmenwechsel vom Economic Man zum Social Man wurde elementar von der sogenannten Hawthorne-Studien beeinflusst, die in den Jahren 1927 bis 1932 von Mayo, Roethlisberger und Dickson durchgeführt wurden. In diesen Studien wurde z.B. der Einfluss unterschiedlicher Umweltbedingung auf die Arbeitsleistung durch Variation der Beleuchtung, der Arbeitszeit und der Pausen untersucht. Die Ergebnisse zeigen überraschenderweise, dass fast jegliche Veränderung der Umweltbedingungen zu einer Verbesserung der Arbeitsleistung führte und diese auch zunahm, wenn die Verbesserungen der Arbeitssituation wieder rückgängig gemacht wurden. Die Resultate liessen sich nur mit dem Einfluss der sozialen Situation erklären. Das Leistungsverhalten der Arbeiterinnen wurde entscheidend durch das Verhalten anderer Personen beeinflusst. Beziehungen und Kommunikationswege innerhalb eines Unternehmens sowie die Normen von Arbeitsgruppen beeinflussten die Produktivität. Durch diese Ergebnisse rückte die motivatonale und emotionale Bedeutung sozialer Beziehungen in Organisationen in den Fokus. Der Arbeitsplatz wurde als soziales System begriffen.
In späteren Jahren kam vielfach grundlegende Kritik an den Hawthorne-Studien auf. So wurden vor allem methodische Mängel offensichtlich.
Über die Veränderung der sozialen Struktur in Organisationen hinaus wurden jedoch keine Ansätze zur Veränderung der Arbeitsstrukturen und –prozesse entwickelt. Die Einführung halbkreisförmiger Fliessbandanlagen zur Verbesserung der Kommunikation unter den Arbeitern veränderte die Arbeitsaufgabe an sich nicht, so dass die tayloristische Arbeitsteilung in einem Grossteil der Unternehmen weitergeführt wurde.
Self-actualizing Man
In den 1950er Jahren kam es immer häufiger zu hohen Fluktuationsraten, langen Fehlzeiten und Streiks. Dies waren Kennzeichen einer Krise der Arbeitsmotivation (Herrick & Maccoby, 1975). In Unternehmen, in denen die tayloristische Arbeitsteilung noch nicht abgeschafft worden war, breitete sich Unzufriedenheit aus. Als Reaktion auf die Probleme trat ein Forschungsansatz in den Vordergrund, der den Human-Relations-Ansatz weiterentwickelte. Dabei wurden über die Untersuchenden zwischenmenschlicher Beziehungen hinaus die menschliche Arbeitsressource in den Vordergrund des Interesses gestellt. Arbeitsinhalte, Aufgabenerweiterung und Arbeit in teilautonomen Gruppen stehen im Mittelpunkt der Human-Resources-Bewegung mit dem Ziel, das Bedürfnis der Arbeiter nach Selbstverwirklichung zu erfüllen. Um dies zu erreichen wurde ein verstärkte Humanisierung der Arbeit gefordert. (Miles, 1965).
Das Menschenbild dieser dritten Phase ist der Self-actualizing Man. Seine Motivation zur Arbeit basiert auf dem Ausmass der Autonomie und Kontrolle, die er bei seiner Arbeitstätigkeit hat. Durch die Möglichkeit, autonom zu handeln, kann der Arbeiter seine Ziele und Regeln zur Zielerreichung selbstbestimmt setzen. Durch die selbstständige Kontrolle seiner Arbeitstätigkeit kann er die Situation zur Zielerreichung direkt beeinflussen. Dadurch bietet ein hohes Mass an Autonomie und Kontrolle dem Arbeiter die Möglichkeit, bei der Ausführung seiner Tätigkeit innovativ und kreativ zu sein und sich so in seiner Arbeit selbst zu verwirklichen (Grote, 1997)
Auf Basis der Tavistock-Studien, welche den Einfluss unterschiedlicher Arbeitsmethoden auf soziale Systeme untersuchten, entstand der soziotechnische Systemansatz. Das soziotechnische System eines Unternehmens besteht aus zwei Komponenten, die nicht voneinander trennbar sind. Die soziale Teilkomponente stellen die Mitarbeiter dar, welche die Maschinen bedienen. Die technische Teilkomponente sind die Maschinen in einer Produktionsstrasse. Der Erfolg eines Unternehmens hängt von der Interaktion der sozialen und technischen Teilsystemes ab. Die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Mensch-Machine-Kommunikation und die Interaktion technische Komponenten spielen eine bedeutsame Rolle. Eine Organisation ist also nicht ein rein technisches System mit Individuen, die ersetzbar sind und die technischen Mittel angepasst werden müssen (Trist et al., 1963)
Die Bedeutung dieser Befunde liegt vor allem in ihrem Einfluss auf Massnahmen der Arbeitsgestaltung in Unternehmen. So wurde im Jahr 1974 eines der grössten deutschen Forschungs- und Umsetzungsprogramme mit dem Ziel der Humanisierung des Arbeitslebens durchgeführt(Salfer / Furmaniak, 1981). Zentrale Aspekte dieses Programms waren die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und Verbesserung der Qualifikation der Arbeiter sowie die Steigerung des Handlungsspielraums bei der Arbeit.
Complex Man
Die Menschenbilder der zuvor beschriebenen Phasen haben gemeinsam, dass sie alle Vereinfachungen der betrieblichen Umwelt darstellen. Die Wirklichkeit ist jedoch sehr viel komplexer als die Annahme der vorhergehenden Phasen zum Ausdruck bringen.So hat sich in der Folge das Menschbild des Complex Man durchgesetzt. Dieses darf nicht im Widerspruch zu den vorherigen Menschenbildern gesehen werden. Stattessen versucht es die Aspekte, die in den zuvor beschriebenen Menschenbildern getrennt betont wurden, zu integrieren. Das zentrale Merkmal ist, dass sich Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Bedürfnisse, Motive, Wert und Ziele interindividuell unterscheiden. Darüber hinaus können sich menschliche Bedürfnisse in der persönlichen Entwicklung verändern. Durch Erfahrung im Arbeitsleben und in der Organisation können sich Bedürfnisse verändern und neue Motive entstehen. Sie sind abhängig von der jeweiligen Lebens Situation und können von Person zu Person unterschiedliche Bedeutung haben.
Seit den 1970er Jahren haben diese Erkenntnisse zu einer Konzentration auf eine partizipative und differenziell-dynamische Arbeitsgestaltung geführt.Durch Wahlmöglichkeiten, Angebote verschiedener Arbeitsformen und Mitsprache bei betrieblichen Gestaltungsmassnahmen werden individuelle Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt. Dabei ist Job Crafting als Arbeitsgestaltungsmassnahme in den Fokus der praktischen Anwendung in Organisationen gerückt.(Wrzeniewski & Dutton, 2001) Die Idee hierbei ist, dass viel Funktionen flexibel ausgefüllt werden können. Mitarbeiter haben die Möglichkeit den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Tätigkeiten zu verlagern, die sie wirklich gut können. Sie können ihre Aufgaben neu organisieren und formen, damit sie besser zu ihren Stärken und Bedürfnissen passen, und von denen lassen, wo ihre Leistung schwächer ist.
Darüber hinaus kam es zu einer zunehmenden Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitswelt, so dass sich das klassische Bild der Arbeit drastisch veränderte. Die Arbeitswelt wurde immer mehr von umwälzenden Veränderungen und Innovationen beeinflusst. Dies führten einerseits zum verstärkten Einsatz von Arbeitsformen mit erweiterter Autonomie wie Projekt- und Gruppenarbeit, andererseits zu einer veränderten Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im Fokus dieser Beziehung stand nicht mehr die Beschäftigungssicherheit der Organisation, sondern die Beschäftiungsgähigkeit des Arbeitnehmers. Die klassische Arbeitsbiografie im Sinne einer lebenslangen Beschäftigung bei einem einzigen Betrieb von der lehre bis zur Pensionierung und das Ausführen des erlernten Berufs während der gesamten Berufstätigkeit wurden seltener.
Virtual Man
Seit den 1990er Jahren befindet sich unsere Gesellschaft in einer Phase des Wandels. Die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien führte zu einer Transformation der Art und Weise, wie wir zusammen leben, arbeiten, kommunizieren und unsere Freizeit verbringen. Dabei sieht sich der Mensch in der modernen Informationsgesellschaft mit einem Mehr an Optionen konfrontiert. Diese Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten zieht sich durch alle Lebensbereiche, so dass der Begriff der Multioptionsgesellschaft geprägt wurde (Gruss, 1994). Dieser Wandel wird durch vier Prozesse gekennzeichnet:
Enttraditionalisierung: Mit der Enttraditionalisierung wird der Verlust von Traditionen als Handlungsvorgaben beschrieben.
Optionierung: Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben dazu geührt, dass siche Hanungsmöglichkeiten in allen Lebensbereichen vervielfältigt haben.
Individualisierung. Durch die Enttraditionalisierung und Optionierung kommt es zu einer immer stärkeren Individualisierung.
Netzwerkbilung: Der Aufbau und die Pflege von Beziehungsgeflechten haben in der modernen, schnelllebigen Gesellschaft enorm an Bedeutung gewonnen.
Der Wandel der Gesellschaft führ auch zu elementaren Veränderungen für den arbeitenden Menschen selber. Die starke Flexibilisierung der Arbeit, Zeitarbeit und befristete Verträge, der permanente Durch der Optionsvielfalt und das konstante Unsicherheitsgefühl in der modernen Arbeitswelt haben das Stresspotenzial der Arbeit drastisch erhöht. Der demografische Wandel mit der Verschiebung der Altersverteilung hin zu einer Überzahl älterer Menschen und der Aussicht, bis zum 70. Lebensjahr zu arbeiten, führt zu einer dramatischen Veränderung der Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft in Unternehmen. Schlüsselfunktionen im Umgang mit diesen voranschreitende Veränderungen nehmen die Themen Arbeitsgestaltung, Kompetzenzentwicklung und Gesundheitsförderung über die verschiedenen Lebensphasen sowie Führung ein.
Zusammenfassung der vier traditionellen Menschenbilder
Economic man
Motivation durch ökonomische Anreize – Maxime des grössten Gewinns
Kontrolle des Menschen durch Organisation über ökonomische Anreize
Verhinderung der Störung ökonomischer, rationaler Interessen durch Gefühle
Social man
Motivation durch soziale Interaktion – Identität durch die Beziehung zu anderen bestimmt
Sinnentleerung der Arbeitsinhalte durch industrielle Revolution – Sinn nur über soziale Beziehungen
Sozialer Druck von Kollegen wirksamer als Anreize und Kontrollen der Unternehmensführung
Beeinflussung durch Vorgesetzte, wenn sie Anerkennungs- und Identitätsbedürfnisse befriedigen
Self-actualizing man
Motivation aufgrund einer Reihe von Bedürfnissen (physiologische bis zu Selbstverwirklichung)
Selbstverwirklichung durch autonomes, eigenverantwortliches und situationsangepasstes Handeln
Eigenmotivation und -kontrolle – externe Anreize und Kontrollen führen eher zu verringerter
Motivation
Bei genügend Spielräumen Vereinbarkeit von persönlichen und Organisationszielen
Complex man
Vielfältige und unterschiedliche Bedürfnisse je nach Stand der persönlichen Entwicklung und
Lebenssituation
Komplexe Interaktion von Bedürfnissen – sehr unterschiedliche Auswirkungen von Anreizen auf
Motivation
Bedürfnisveränderungen durch Erfahrungen in einer Organisation
Keine Managementstrategie möglich die immer für alle Menschen die einzig richtige ist